Wenn der Tatort zum Smart-Ort wird

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Informationen aus sprachgesteuerten Lautsprechern, WLAN-Routern oder Fitnessarmbändern helfen immer öfter bei der Aufklärung von Straftaten. Dafür müssen ErmittlerInnen diese Art von Daten allerdings erst einmal auslesen, speichern und analysieren.


Smartwatches sammeln viele Daten über ihre Träger. Die können in Ermittlungen sehr wertvoll sein. (Bild: Adobe Stock)


Es war eine kleine Audiodatei, die Ende 2020 in einem Totschlag-Prozess das letzte Puzzlestück lieferte. Das Landgericht Regensburg verhandelte damals den Fall einer Frau, die in ihrer Wohnung erschlagen worden war. Der Verdächtige, ein Bekannter des Opfers, gab an, zur Tatzeit nicht bei ihr gewesen zu sein. Das Gegenteil bewies ein Tondokument aus der Cloud des smarten Lautsprechers Alexa, den ErmittlerInnen in der Wohnung sicherstellen konnten. „Die Alexa hast halt wieder herinnen“, ist darauf laut tagesschau.de die Stimme des später verurteilten Totschlägers im bayerischen Dialekt zu hören. Nachdem das Trigger-Wort „Alexa“ gefallen war, zeichnete der Lautsprecher die nachfolgenden Sätze auf, ebenso wie die Uhrzeit der Aufnahme. Für das Gericht ein Beleg, dass sich der Mann zum fraglichen Zeitpunkt doch in der Wohnung aufgehalten hatte.

Daten aus smarten Devices: Eine neue Art von Beweismitteln

Die Verhandlung war nicht die erste, in der ein paar Megabyte an Daten aus einer sichergestellten Datei den Ausschlag für eine Verurteilung gaben. Laut Statista.de gibt es zurzeit mehr als 3,2 Millionen Smartwaches in Deutschland. Mit der Zahl der smarten Devices an Handgelenken und in Wohnungen wächst seit Jahren auch die Menge der digitalen Daten, mit deren Hilfe StraftäterInnen überführt werden können. Denn lauschende Lautsprecher, schrittzählende Fitness-Armbänder und fernsteuerbare Heizungen sind für ihre NutzerInnen nicht nur praktisch. Sie zeichnen auch Unmengen an Informationen über sie auf. Diese „digitalen Fingerabdrücke“ können ErmittlerInnen im Ernstfall auswerten, ebenso wie reale Fingerabdrücke am Tatort.

Hier ein paar spektakuläre Beispiele:


Sprachgesteuerte Lautsprecher hören in immer mehr Wohnungen mit. (Bild : Adobe Stock)


Doch smarte Devices helfen nicht nur bei der Aufklärung von Straftaten. Manchmal beugen sie ihnen sogar vor, indem sie selbständig die Polizei alarmieren.

Herausforderung für die Spurensicherung

Erzählt man solche Fälle vom Ende her, fügen sich die digitalen Spuren logisch in den Tathergang. Am Tatort jedoch müssen sie erst einmal mühsam gefunden und gespeichert werden. Für ErmittlerInnen ist das oft eine neue Herausforderung. Auf die haben viele Polizeien bereits reagiert: So hat das LKA Schleswig-Holstein 2019 ein Kompetenzzentrum Digitale Spuren eröffnet, um Know-how im Bereich der digitalen Spurensicherung aufzubauen. In München wurde bereits 2017 die Zentrale Stelle für die Informationstechnik im Sicherheitsbereich ins Leben gerufen.

„Neuartige digitale Spuren betreffen nicht nur die digitale Kriminalität und Cybercrime. Sie können auch bei der Aufklärung ganz weltlicher Ereignisse entscheidend sein, zum Beispiel bei Unfällen“, erklärt Alexander Hahn, Leiter des Dezernates 23 (Cybercrime/digitale Spuren) im LKA Schleswig-Holstein, einer der Vordenker der digitalen Spurensicherung. Die Herausforderung sei allerdings zu wissen, wonach man suchen muss. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Kriminalpolizei“ fasste Hahn bereits 2017 übersichtlich zusammen, in welchen Bereichen digitale Spuren bei der Ermittlung helfen können:

Solche digitalen Spuren verändern auch die Vernehmungstaktik, glaubt Alexander Hahn: „Wer keine Fragen in Bezug auf neue digitale Spuren stellt, vergibt einen bunten Strauß an Chancen, eine Aussage hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes überprüfen zu können.“


Experten schätzen, dass der Markt für Smart-Home-Anwendungen im Zuge der Aufrüstung auf den 5-G-Mobilfunkstandard rasant wächst. (Bild: Unsplash/Sebastian Scholz)


Wie verwaltet man Schrittzähl-, Herzfrequenz- und WLAN-Daten?

Aber nicht nur Spurensicherung und Vernehmung müssen mit der neuen Art von Beweismitteln Schritt halten. Auch Speicherung und Analyse der Daten werden anspruchsvoller. „Die Zahl der Informationen, die ErmittlerInnen im Alltag aufnehmen und verarbeiten müssen, ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gestiegen“, sagt Pedro Ferreira, Expert-Lead für Asservaten-Management-Systeme bei rola. Allein bei der Auswertung von Videomaterial stoßen die Ermittlungsteams mitunter an ihre Grenzen. (siehe unseren Blogbeitrag zum Thema Objekterkennung). „Rechnet man hinzu, welche Daten aus smarten Geräten sonst noch an einem Tatort anfallen, ist die Verwaltung und Auswertung solcher Datenmengen ohne moderne Analyse- und Informationssysteme heute nicht mehr beherrschbar“, sagt Ferreira.

Helfen können Software-Lösungen gleich auf mehrere Arten: Fallbearbeitungs-Software macht Strukturen und Zusammenhänge sichtbar, sodass verborgene Sachverhalte aufgedeckt werden. Hierbei wird der international etablierte „Intelligence Cycle“ unterstützt und durch spezifische Fachfunktionen umgesetzt.

Lösungen zur Asservatenverwaltung führen die AnwenderInnen durch alle Prozesse, die ein Beweismittel in der Regel durchläuft: von der korrekten Erfassung über die effektive Auswertung bis hin zur sicheren Lagerung. Tools zur Massendatenanalyse und Objekterkennung helfen bei der Aufbereitung unstrukturierter Daten und der Analyse von Bild- und Videomaterial. Und smarte Data-Fusion- und Intelligence-Lösungen ermöglichen es schließlich, heterogene Ermittlungsdaten aus verschiedensten Quellen zusammenzuführen und auf einer Plattform kollaborativ zu analysieren. Nicht zuletzt lassen sich mit ihnen Reportings erstellen und Ergebnisse einfach und schnell visuell aufbereiten – wichtig etwa für die Staatsanwaltschaft und vor Gericht.

Noch ist der Zugriff auf digitale Daten aus Wearables und smarten Lautsprechern auch für moderne Data-Fusion-Lösungen eine Herausforderung. Die Fälle zeigen aber, wohin die Reise geht – und an welchen Themen geforscht und entwickelt werden muss.


Zur Person: Pedro Ferreira ist Leiter Projekt- & Fachanforderungen bei rola. Sowohl strategische Produktentscheidungen als auch die Analyse von Kundenanforderungen gehören zu seinem Aufgabenspektrum.